So viel zu Vorsätzen

Ich habe einen todsicheren Plan (Egon Olsen)

Ich sag es ja: „Neujahrsvorsätze waren noch nie mein Ding.“ Sieben Beiträge zu Büchern sind aus meinem letztjährigen Quasi-Neujahrsvorsatz entstanden– statt der geplanten 26. Bücher gelesen habe ich (ein paar) mehr. Und in irgendeinem Multiversum hätte ich Tegmarks Wälzer auch in zwei Wochen durchgelesen und einen kurzen Text dazu geschrieben. Nicht aber in diesem. Notizen dazu und zu weiteren Büchern schlummern noch irgendwo. Aber so ein Jahr ist lang und in der Regel ereignisreich. Die Ruhe um den Jahreswechsel verklärt da manchmal den Blick auf die tatsächlichen Prioritäten. Nebenan ist es ebenfalls still geworden. Auch hier harren noch ein paar Ideen und Bilder auf Veröffentlichung. Aber alles zu seiner Zeit und nicht entlang eines Redaktionsplans. „Leben ist das, was Dir passiert, während Du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.

Sten Nadolny – Die Entdeckung der Langsamkeit

„Geh’n die Leute auf der Straße eigentlich absichtlich so langsam?“ (Tocotronic)

Ich vermelde einen souveränen Neueinstieg in meine Top10. Die Floskel, dass ein Buch heute (über dreißig Jahre nach Erscheinen) zeitgemäßer und wichtiger als je zuvor ist, gilt wohl für kein Werk so wie für Sten Nadolny und „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Der Protagonist lebt mit seinem ruhigen und besonnenen Wesen den Gegenentwurf zum heutigen Alltag, in dem die Tageszeitung bereits überholt ist, wenn sich der Postbote auf den Weg zum Leser macht und alle Welt über ständige Erreichbarkeit und Zeitdruck klagt. Nadolny versteht es, die Bedachtsamkeit, Ruhe und analytische Nachdenklichkeit von John Franklin in eine Sprache zu gießen, die sofort entschleunigt. Gleichzeitig umreißt er die Charaktere mit viel Präzision und Wortwitz. Wer dafür empfänglich ist, verspürt gerade in der zweiten Hälfte den Drang, jeden zweiten Satz zu markieren. Der Roman ist ein gelungenes Plädoyer für Toleranz, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung entsprechend der eigenen Natur. Und als wäre es nicht genug, bettet sich das Thema des Buches auch noch in eine große Seefahrer-, Abenteurer- und Entdeckergeschichte.

Nächstes Buch: Max Tegmark – Unser mathematisches Universum

Peter Thiel – Zero to one

„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ (Kurt Tucholsky)

Zero to one bietet anregende und kurzweilige Lektüre über Erfolgsfaktoren neugegründeter Unternehmen – jenseits redundanter, amerikanischer Wirtschaftsliteratur. Besondere Aufmerksamkeit erhält die Befürwortung von Monopolen. Liest man Thiel genauer, löst sich das als sprachlicher Taschenspielertrick auf. „Seine“ Monopole können leicht mit Alleinstellungsmerkmal betitelt werden und sind wirtschaftswissenschaftlicher Mainstream. Allerdings formuliert er eine ganz spannende Frage für Bewerbungssituationen, bei deren Beantwortung er sich aber nicht an die selbst definierten Spielregeln hält. „Welche Ihrer Überzeugungen würden nur wenige Menschen mit Ihnen teilen?“ Dass Technologie bestimmender als Globalisierung ist, klingt für mich nicht gerade nach Querdenker. Meine Antwort wäre, dass viele Menschen glauben, mit bewusster Polarisation in Debatten punkten zu können. Ich glaube, dass Differenzierung hilfreicher ist – zumindest, wenn man mehr erreichen will als kurzfristige Aufmerksamkeit.

Nächstes Buch: Christoph Keese – Verantwortung jetzt!

Andrew Blum – Kabelsalat

„Manchmal hat die Antwort auf die Frage ‚Wo ist meine E-Mail?‘ eher was mit Quanten zu tun als mit Newton“ (namenloser Experte für Rechenzentren)

Andrew Blum hat eine laaange Reportage geschrieben, wenig Tiefgründiges, wenig Zusammenhänge, aber anschaulich. Muss man mögen – tue ich bedingt. Er macht sich auf die Reise, die physische Infrastruktur des Internets samt ihrer Sehenswürdigkeiten zu besuchen, z.B. den Internetknoten De-CIX in Frankfurt. Selbst wenn über den Breitbandausbau debattiert wird, vergessen schließlich viele, das das Internet höchst physisch ist. Es besteht aus langen Kabeln, die in aller Regel vergraben oder versenkt werden, irgendwo in ein Haus gehen und manchmal wieder herauskommen. Was man sich ebenfalls selten bewusst macht: bei jedem Aufruf einer Internetseite fängt irgendwo ein Computer an zu arbeiten. Blum stattet diesen Kabeln, Häusern und Servern einen Besuch ab. Ich wusste schon vorher ziemlich genau, unter welcher Karlsruher Adresse meine E-Mails eingehen. Jetzt weiß ich auch noch halbwegs, auf welchem Weg sie von dort zu mir nach Hause kommen.

Nächstes Buch: Peter Thiel – Zero to one

Robert & Edward Skidelsky – Wie viel ist genug?

„Warum werde ich nicht satt?“ (Campino)

Vater & Sohn Skidelsky haben das bisher anregendste Buch zu meiner kleinen Lesereise beigetragen, obwohl es gen Mitte mit längeren Variationen über das selbe Thema einen kleinen Hänger hat. Häufig ist der Adressat in erster Linie die staatliche Wirtschaftspolitik (bedingungsloses Grundeinkommen, Werberegulierung). Aber vor allem der Leser selbst bekommt Denkanstöße, ein gutes Leben zu führen. Die Skidelskys sind keine fundamentalen Kapitalismuskritiker, wollen die Gesellschaft aber von Knappheitsdogma und ständigem Effizienzstreben befreien und ihr das Bewusstsein zurück geben, genug zu haben und sich um eine gerechtere Verteilung zu sorgen. Schließlich sind Wohlstand und Glück ihre Absolutheit abhanden gekommen und in Relation gibt es stets jemanden, der mehr hat und dafür sorgt, dass das Individuum im Streben, diese Differenz wett zu machen, nicht zur Ruhe kommt. Als Messgrößen und Ziele für ein gutes Leben definieren die Autoren sieben Basisgüter: Gesundheit, Respekt, Sicherheit, Harmonie mit der Natur, Freundschaft, Muße und Persönlichkeit (nicht immer im üblichen Wortverständnis). Auch wenn sie keine Rangliste aufstellen, scheint ihnen die Muße besonders am Herzen zu liegen. Der Mensch soll seine hoffentlich ausreichend vorhandene Freizeit nicht gelangweilt vertrödeln, sondern etwa zu unbezahlten Engagement oder für die eigene Horizonterweiterung nutzen. Wohlan!

Nächstes Buch: Andrew Blum – Kabelsalat

Debattendeutsch

„Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf. Wer schludert, der sei verlacht, für und für. Wer aus Zeitungswörtern und Versammlungssätzen seines dahinlabert, der sei ausgewischt, immerdar.“ (Kurt Tucholsky)

Fachsprache ist immer dort sinnvoll, wo sie eine effiziente Kommunikation zwischen Experten ermöglicht. In politischen Diskussionsrunden bekommt man häufig das Gefühl, die Teilnehmer hätten eine eigene Sprache entwickelt. Deren einziges Ziel scheint wiederum zu sein, dass niemand die konkrete Aussage nachvollziehen oder– noch schlimmer – irgendwelche Handlungen daran messen kann. Wenn sich also ein Diskutant nicht festlegen möchte, verwendet er möglichst schwammige und abstrakte Substantive: Thema, Diskussion, Problem, Frage, Bereich, Komplex, Rahmenbedingungen. Um den Satz völlig einer Aussage zu entkleiden, wird ein nichtssagendes Prädikat ergänzt: es geht um, wir müssen … voranbringen. Schwierig wird es, wenn bereits die Frage maximal unkonkret ist. Vor einigen Jahren fragte mich ein Journalist, was „die Lösung für das Urheberrechtsproblem sei“. Da ich nicht verstanden habe, worauf er genau hinauswollte, habe ich auf zahlreiche Einzelaspekte hingewiesen und gegengefragt, was er konkret wissen wolle. Für ihn wohl ein Zeichen von Inkompetenz und, dass ich des Debattendeutschen nicht mächtig bin. Immerhin konnte ich aus seinem Artikel im Nachhinein erahnen, dass er wohl mehr über Maßnahmen gegen digitale Urheberrechtsverletzungen wissen wollte. Hätte er das benannt, hätte er auch (m)eine Antwort bekommen können. Unklar, ob das erwünscht war – manchmal ist Unverständlichkeit ja Programm.

Werner Heisenberg – Physik und Philosophie

„Nur scheinbar hat ein Ding Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter. In Wirklichkeit gibt es nur die Atome und den leeren Raum.“ (Demokrit)

Für mich wichtigste Lektion des Buchs: Atome sind auch nur Menschen. Nach jeder Interaktion fallen sie in den energieärmsten Zustand zurück. Im Übrigen ist allerdings wesentlicher Gegenstand die Sprache der Physik. Das ist wegen der notwendigen Präzision in der Regel die Mathematik. Heisenberg bemüht sich allerdings um Allgemeinverständlichkeit und verzichtet vollständig auf Formeln und Diagramme. Dass die vorangestellte Biographie das nicht schafft, verwundert, gibt aber gleich Gelegenheit, der Aufforderung von Heisenberg nachzukommen, bei Bedarf zu überblättern. So erfahre ich also nichts von seiner späteren Karriere als Meth-Koch. Trotz des Bemühens um Verständlichkeit schafft es Heisenberg (anders als beispielsweise Richard Feynman) nicht, Physik so zu erklären, dass im Kopf Bilder erzeugt werden. Er bleibt trotzdem ein Sprachfuchs! Wenn er postuliert, dass die kleinsten Bausteine die Elementarteilchen sind (worin er später widerlegt wird – Quarks!), bleibt er doch im Recht, indem er ergänzt, dass anderenfalls deren Teile eben die Elementarteilchen sind. Gerade seine Überholung verdeutlicht die Feststellung von Heisenberg, dass objektive Wahrheit unmöglich ist, weil der Wissenshorizont von der aktuellen Kenntnis als Beobachtungsstandort abhängt. Das gibt Gewissheit, dass wir auch über fünfzig Jahre später noch viel zu engstirnig denken und weitere Quantensprünge bevorstehen.

Nächstes Buch: Robert & Edward Skidelsky – Wie viel ist genug?

Simon Garfield – Just My Type

„Allzu oft gehen Ideen verloren, weil sich die Schrift zwischen den Gedanken und den Leser stellt“ (Jim Parkinson)

Schriftdesign und Typographie haben mich schon während des Studiums interessiert, als ich im AStA die Öffentlichkeitsarbeit übernommen habe oder einen Grund brauchte, die inhaltliche Arbeit an meiner Dissertation aufzuschieben. Just My Type liefert unterhaltsame Beispiele und Anekdoten aus der Welt der Schriften und ihrer teilweise skurrilen Schöpfer. An einzelnen Beispielen macht das Buch bewusst, wie Schriften wirken, Sehgewohnheiten beeinflussen, zum Markenaufbau beitragen und ganze Unternehmensbilder prägen. Auch der Jurist kommt nicht zu kurz, widmet sich doch ein Kapitel Piraten und dem Fauxpas der französischen „Urheberrechtsbehörde“ durch die Nutzung unlizenzierter Schriften im Rahmen einer Kampagne. Das Buch ist ein wenig sprunghaft, aber durchgängig unterhaltsam und informativ. Damit bietet es einen leicht verdaulichen Einstieg in die Welt der Fonts und Serifen. Findet man im Buch viele Beispiele für gelungene Buchcover, die zum Klassiker geworden sind, geht Just My Type selbst mit Negativbeispiel voran. Für die Titelzeile auf dem Schutzumschlag wurden acht verschiedene – jede für sich betrachtet schon schwer lesbare – Schriftarten verwendet. Dem Credo der Schriftgestaltung, dass Schriften selbst nicht auffallen sollen, widerspricht das Buch damit erfolgreich: der Titel hat sich mir nie eingeprägt, sondern war unleserlich und blieb „das Buch mit den Schriftarten“.

Nächstes Buch: Werner Heisenberg – Physik und Philosophie

Lesen bildet

„Dass ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält“ (Faust)

Neujahrsvorsätze waren noch nie mein Ding. Aber die Idee von Mark Zuckerberg, 2015 zum „Year of Books“ zu machen, finde ich gut. Wahrscheinlich hat er nur unwesentlich mehr Freizeit als ich, sich aber trotzdem vorgenommen, alle zwei Wochen ein neues Buch zu lesen, um dabei “über unterschiedliche Kulturen, Glauben, Geschichten und Technologien” zu lernen. Bei mir stapeln sich Bücher für mindestens fünf Jahre – ungelesen, manchmal noch Folie drum oder Lesezeichen ganz sorgfältig auf Kapitel zwei gesetzt. Die werden jetzt entstaubt. Vorerst einzige Regel: Sowieso-Bücher zählen nicht. Also weder Bücher mit Kajak oder Paddeln im Titel, noch zu leichte Belletristik oder vorgelesene Kinderbücher. Daran, dass es nur vorhandene Bücher vom Stapel sein dürfen, halte ich mich eh nicht. Zuckerberg hat ein paar Tage Vorsprung; also ran!

Erstes Buch: Simon Garfield – Just My Type