Sten Nadolny – Die Entdeckung der Langsamkeit

„Geh’n die Leute auf der Straße eigentlich absichtlich so langsam?“ (Tocotronic)

Ich vermelde einen souveränen Neueinstieg in meine Top10. Die Floskel, dass ein Buch heute (über dreißig Jahre nach Erscheinen) zeitgemäßer und wichtiger als je zuvor ist, gilt wohl für kein Werk so wie für Sten Nadolny und „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Der Protagonist lebt mit seinem ruhigen und besonnenen Wesen den Gegenentwurf zum heutigen Alltag, in dem die Tageszeitung bereits überholt ist, wenn sich der Postbote auf den Weg zum Leser macht und alle Welt über ständige Erreichbarkeit und Zeitdruck klagt. Nadolny versteht es, die Bedachtsamkeit, Ruhe und analytische Nachdenklichkeit von John Franklin in eine Sprache zu gießen, die sofort entschleunigt. Gleichzeitig umreißt er die Charaktere mit viel Präzision und Wortwitz. Wer dafür empfänglich ist, verspürt gerade in der zweiten Hälfte den Drang, jeden zweiten Satz zu markieren. Der Roman ist ein gelungenes Plädoyer für Toleranz, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung entsprechend der eigenen Natur. Und als wäre es nicht genug, bettet sich das Thema des Buches auch noch in eine große Seefahrer-, Abenteurer- und Entdeckergeschichte.

Nächstes Buch: Max Tegmark – Unser mathematisches Universum

Christoph Keese – Verantwortung jetzt!

„Du musst nicht akzeptieren, was Dir überhaupt nicht passt, wenn Du Deinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hast.“ (Farin Urlaub)

Man muss mit Christoph Keese nicht einer Meinung sein, um anzuerkennen, dass er ein kluger Kopf ist, der für seine Überzeugungen eintritt – auch wenn ich ihn in Kurzform mehr zu schätzen weiß. „Verantwortung jetzt!“ ist ein Parforceritt durch die Gedankenwelt eines politischen Bildungsbürgers (im absolut positiven Sinne!). Beim Lesen schwankte mein Eindruck von „Aneinanderreihung von Beispielen, die später noch ein Leitmotto brauchten,“ zu „Leitmotto, das händeringend aus jedem Lebensbereich Beispiele gesucht hat“. Das wirkt manchmal zu wenig organisch, zumal die Beispiele aufgrund Keeses Meinungsstärke teilweise zu sehr im Vordergrund stehen. Die vielen Episoden und Anwendungsfälle lassen das Hauptthema so ein wenig blass und konturlos erscheinen. Zumal einige Beispiele aus der Zeit gefallen scheinen (z.B. die Klingeltonindustrie). Dort, wo Verantwortung theoretisch aufgearbeitet wird, kommt der Holzhammer zum Einsatz. Ver! Ant! Wort! Ung! Hier steht mir die sprachliche Komponente von Verantwortung zu sehr im Mittelpunkt („Verantwortung beweist, wer Fragen befriedigend beantworten kann“). Zeichnet sich für mich doch Verantwortung durch die Tat selbst aus, ohne dass jemand fragt. Insgesamt bildet das Buch allerdings ein lesenswertes Plädoyer für Verantwortung und Engagement mit praktischen Hinweisen für das private, berufliche und öffentliche Leben.

Nächstes Buch: Sten Nadolny – Die Entdeckung der Langsamkeit

Peter Thiel – Zero to one

„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ (Kurt Tucholsky)

Zero to one bietet anregende und kurzweilige Lektüre über Erfolgsfaktoren neugegründeter Unternehmen – jenseits redundanter, amerikanischer Wirtschaftsliteratur. Besondere Aufmerksamkeit erhält die Befürwortung von Monopolen. Liest man Thiel genauer, löst sich das als sprachlicher Taschenspielertrick auf. „Seine“ Monopole können leicht mit Alleinstellungsmerkmal betitelt werden und sind wirtschaftswissenschaftlicher Mainstream. Allerdings formuliert er eine ganz spannende Frage für Bewerbungssituationen, bei deren Beantwortung er sich aber nicht an die selbst definierten Spielregeln hält. „Welche Ihrer Überzeugungen würden nur wenige Menschen mit Ihnen teilen?“ Dass Technologie bestimmender als Globalisierung ist, klingt für mich nicht gerade nach Querdenker. Meine Antwort wäre, dass viele Menschen glauben, mit bewusster Polarisation in Debatten punkten zu können. Ich glaube, dass Differenzierung hilfreicher ist – zumindest, wenn man mehr erreichen will als kurzfristige Aufmerksamkeit.

Nächstes Buch: Christoph Keese – Verantwortung jetzt!

Robert & Edward Skidelsky – Wie viel ist genug?

„Warum werde ich nicht satt?“ (Campino)

Vater & Sohn Skidelsky haben das bisher anregendste Buch zu meiner kleinen Lesereise beigetragen, obwohl es gen Mitte mit längeren Variationen über das selbe Thema einen kleinen Hänger hat. Häufig ist der Adressat in erster Linie die staatliche Wirtschaftspolitik (bedingungsloses Grundeinkommen, Werberegulierung). Aber vor allem der Leser selbst bekommt Denkanstöße, ein gutes Leben zu führen. Die Skidelskys sind keine fundamentalen Kapitalismuskritiker, wollen die Gesellschaft aber von Knappheitsdogma und ständigem Effizienzstreben befreien und ihr das Bewusstsein zurück geben, genug zu haben und sich um eine gerechtere Verteilung zu sorgen. Schließlich sind Wohlstand und Glück ihre Absolutheit abhanden gekommen und in Relation gibt es stets jemanden, der mehr hat und dafür sorgt, dass das Individuum im Streben, diese Differenz wett zu machen, nicht zur Ruhe kommt. Als Messgrößen und Ziele für ein gutes Leben definieren die Autoren sieben Basisgüter: Gesundheit, Respekt, Sicherheit, Harmonie mit der Natur, Freundschaft, Muße und Persönlichkeit (nicht immer im üblichen Wortverständnis). Auch wenn sie keine Rangliste aufstellen, scheint ihnen die Muße besonders am Herzen zu liegen. Der Mensch soll seine hoffentlich ausreichend vorhandene Freizeit nicht gelangweilt vertrödeln, sondern etwa zu unbezahlten Engagement oder für die eigene Horizonterweiterung nutzen. Wohlan!

Nächstes Buch: Andrew Blum – Kabelsalat